Worüber wir uns Sorgen machen

Am 25. April veranstalten wir im Haus der Evangelischen Kirche in Essen einen Fachtag zum Thema Segen und Fluch der Digitalisierung. Auf dieser Seite können Teilnehmerinnen und Teilnehmer, aber auch alle anderen Interessierten Statements abgeben. Dieser Beitrag sammelt Sorgen und Befürchtungen, die die fortschreitende Digitalisierung in uns hervorruft. Wir ergänzen ihn laufend. Letztes Update: 24. April 2018.

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#10

„Dass da ein gnädiger Gott ist, mit einem menschlichen Antlitz, der mich besser kennt, als ich mich selber kenne, und mich trotzdem mit liebevollen Augen anschaut, das ist ein Fixpunkt meines Glaubens. Aus diesem Vertrauen lebe ich. ‚Von allen Seiten umgibst Du mich…‘ (Ps 139) – dieses Gefühl lässt mich Neues wagen, Widersprüche aushalten, schlimme Erfahrungen aushalten, immer wieder aufstehen.

In der digitalen Welt sehen mich auch Augen, aber die kenne ich nicht, und die Absichten mit dem, was sie von mir sehen, kann ich nicht durchschauen. Das finde ich eher beunruhigend. Bei meinem Gott weiß ich meine Geschichte gut aufgehoben. Dass meine Daten in der virtuellen Welt immer verfügbar bleiben und von wem auch immer genutzt werden können, finde ich bedenklich. Jeder Mensch hat ein Recht auf eine Privatsphäre. In Europa tritt im Mai die neue Datenschutz – Grundverordnung in Kraft. Sie schützt unsere Privatsphäre besser. Die Volksrepublik China zeigt der Welt gerade, wie ein lückenloses Überwachungssystem in Internet die bürgerlichen Freiheiten massiv einschränken kann, www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/china-social-credit-system-ein-punktekonto-sie-alle-zu-kontrollieren-a-1185313.html/.“

D.K.

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#9

„Digitalpakt: Mit diesem Schlagwort wird zurzeit die Schullandschaft aufgemischt. Unsere Schulen sollen digital aufgerüstet werden. Mit viel Geld und jeder Menge Folgekosten.

Vermeintlich rückständig sind unsere Schulen, solange sie nicht mit Internet, Whiteboards, Tablets und digitalen Lernprogrammen ausgestattet sind. Nach meiner Auffassung sind hier vor allem wirtschaftliche Interessen leitend. Und wie lassen sich vielleicht Lehrerstellen einsparen, wenn digitale Lernprogramme den Unterricht steuern. Wozu müssen die Schüler überhaupt noch in die Schulen gehen? Am PC können sie doch auch zu Hause ihre Lernprogramme absolvieren. Und welche Möglichkeiten eröffnen sich erst, wenn Lernbiografien komplett erfassbar werden und Algorithmen frühzeitig Lernwege und mögliche Lernerfolge prognostizieren? Wer verdient an der Digitalisieerung unsere Schulen?

Nicht zufällig sind Jörg Dräger und Ralf Müller-Eiselt von Bertelsmann Vordenker einer „digitalen Bildungsrevolution“. Dabei gibt es keine einzige Studie, die sicher belegt, dass Heranwachsende erfolgreicher lernen mit digitaler Technik. Im Gegenteil gibt es Grund zu der Annahme, dass eine Vermehrung der Lernzeit am PC – individualisiert und durch Algorithmen gesteuert – das Bildungsgefälle verschärft. Denn gerade die Kinder aus sog. bildungsfernen Schichten sind schon jetzt viel länger im Internet und der virtuellen Welt unterwegs.

Lernen ist ein analoger und sozialer Vorgang, dessen Erfolg maßgeblich von der Schüler-Lehrerbeziehung beeinflusst wird. Digitale Medien können das Lernen allenfalls unterstützen, anreichern, spannender machen, wie alle Medien, die im Unterricht eingesetzt werden. Alles andere ist Ideologie und Geschäftemacherei.“

D.K.

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#8

„Je älter ich werde, umso kostbarer wird mir die Lebenszeit, die ich noch habe. Insofern finde ich die digitalen Ideen zur Lebensverlängerung bzw. Unsterblichkeit verlockend. Jedoch: Will ich wirklich als Avatar oder digitaler Klon – erstellt aus der Summe aller meiner erfassten Daten -weiterleben? Und möchte ich gestorbene Menschen, auch wenn ich sie geliebt habe, als virtuelle Doppelgänger um mich haben? Hört sich nach Science Fiction an. Aber an diesen Programmen wird gearbeitet, siehe z.B. hier:
www.spiegel.de/netzwelt/web/virtuelle-unsterblichkeit-hossein-rahnama-arbeitet-an-digitalen-klonen-a-1103539.html.  Der uralte Traum des Menschen, die Grenze des Todes aufzuheben, rückt in den Bereich des Möglichen. In meinem Glauben ist Sterblichkeit ein Ausdruck unserer einmaligen, unersetzbaren Würde. Dass wir sterben müssen, macht den Augenblick kostbar und die Menschen an unserer Seite so unendlich wichtig. Dass unsre Zeit begrenzt ist, verleiht unserem Leben, und was wir daraus machen, erst Bedeutung. Dass so vieles fragmentarisch bleibt in meinem Leben, lässt mich auf die Auferweckung und das ganz und gar andere Leben mit Christus hoffen. Aber als Avatar weiterleben … Da schüttelt es mich.“

D.K.

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#7

„Es berührt mich, wenn ich sehe, wie ein querschnittsgelähmter Mensch durch digitale Medizintechnik wieder selbstständig erste Schritte macht. Und die Vorstellung, dass durch Nanomedizin Krebserkrankungen oder Alzheimer wirksam bekämpft werden können, finde ich wunderbar. Andererseits sehe ich die biotechnologischen Fortschritte mit einer gewissen Skepsis. Im Grunde erhält die Medizin doch eine ganz neue Ausrichtung. Nicht mehr Heilung sondern Perfektionierung ist das Ziel der neuen Medizin(technik), Wird diese Arbeit an der Vervollkommnung des Menschen unser Menschenbild nicht grundlegend verändern?

Was bedeutet gesund sein, alt werden, behindert oder nicht behindert sein angesichts der technologischen Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung eröffnen?

Was geschieht in Zukunft mit denen, die sich nicht perfektionieren lassen oder denen die finanziellen Mittel dafür fehlen?

Das Ideal des vollkommenen Menschen ist in meiner chistlich- jüdischen Tradition ein gänzlich unangemessenes Menschenbild. Es entfaltet in letzter Konsequenz eine mörderische Wirkung, weil es alles Imperfekte seiner Lebenschancen beraubt. Ich lebe mit einem geistig behinderten Menschen zusammen. Er ist ein glücklicher Mensch. Und mein eigenes Leben gewinnt durch unser Zusammenleben so viel Sinn. Ich möchte mir nicht vorstellen, dass es Menschen wie meinen behinderten Schwager irgendwann nicht mehr gibt.“

D.K.

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#6

„Für die Arbeitswelt bedeutet Digitalisierung eine enorme Welle der Automatisierung. Es gibt bereits Studien, welche Berufe es in 20 Jahren nicht mehr geben wird in der Fertigung und in den Dienstleistungsgewerben. Das sind Millionen Arbeitsplätze. Ob diese Arbeitsplätze wirklich kompensiert werden können durch die neuen IT-Berufe. Was ist mit den vielen, die für diese hoch spezialisierten Berufe ungeeignet sind. ‚Es fehlen Fachkräfte!‘ ist heute schon das Mantra der Industrieverbände. Nur, wo sollen die herkommen? Die ersten Überlegungen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen sind in der Diskussion. Aber Arbeiten können, einen sinnvollen Beitrag leisten können ist eben auch Ausdruck menschlicher Würde. Sicher werden sich unsere Bewertungen von Erwerbsarbeit und unentgeldlicher Arbeit ändern müssen. Auch die sozialen Sicherungssystem müssen angepasst werden. Zum Glück haben wir Gewerkschaften, die dafür eintreten werden.

Meine Befürchtung will ich aber auch nicht verschweigen: Es wird eine kleine hoch spezialisierte berufliche Elite geben, die die Algorithmen beherrschen und Maschinen bewegen können, und ein Heer von mehr oder weniger erwerbslosen Menschen, die sich in virtuellen Realitäten zerstreuen und ruhig stellen lassen.

D.K.

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#5

„Typisch Kirche, wie hier diskutiert wird: Erstmal alles verteufeln. Säkularisierung und Aufklärung waren und sind Megatrends – bis heute schüren die Kirchen pauschale Ängste davor und verdammen beides. So ist es auch mit der Digitalisierung. Dabei ist die Zukunft offen! Es kommt immer auf die Menschen – also auf uns! – an, ob Digitalisierung zum Fortschritt beiträgt oder zu Totalitarismus führt.“

S.K.
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#4

„Vom alten Immanuel Kant stammt der Satz: ‚Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.‘ Für 200 Jahre war Aufklärung der maßgebliche Impuls zur Emanzipation von kirchlicher und staatlicher Bevormundung. Und das war gut und wichtig. Wir hätten alle unsere bürgerlicher Freiheitsrechte nicht ohne diese Bewegung.

Ich habe aber die Sorge, dass wir uns im Zuge der Digitalisierung freiwillig wieder in eine Unmündigkeit hinein begeben, die uns abhängig, manipulierbar macht und auf Dauer unserer Freiheit beraubt. Wir lassen zu, dass undurchschaubare Algorithmen darüber entscheiden, welche Informationen uns zugespielt werden. Wie verlässlich diese Informationen sind, wissen wir gar nicht. Was Fake ist, und was einer Überprüfung standhält, können wir kaum noch unterscheiden. Zumal die Bilder uns stets eine eindeutige Sachlage vorgaukeln. Filterblasen, Social Bots, Social Propaganda spielen uns nur die Nachrichten zu, die uns in unsere Vorurteile und angstbesetzten Haltungen bestätigen. Und das kann sich Wahl entscheidend auswirken – siehe z.B. www.spiegel.de/netzwelt/web/fuenf-arten-wie-soziale-medien-wahlen-beeinflussen-kolumne-a-1121577.html.

Verschwörungstheorien, Stimmungs- und Angstmacherei, das Bombardiertwerden mit Nachrichten, die unsere verborgenen Ängste und Hoffnungen bedienen, entfalten ihre Wirkung langsam und quasi unter der Haut.“

D.K.

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#3

„Nach meinem Eindruck dient die Teilhabe an sozialen Netzwerke vor allem der Zerstreuung und Unterhaltung. Sie bindet jede Menge Zeit und Aufmerksamkeit. Sie wird für viele Menschen so wichtig, dass ich von Abhängigkeit sprechen würde. Die Angst, offline zu sein, Freunde/Follower … zu verlieren, nicht geliked zu werden, wenn ich nicht poste, tweete, snapchatte …führt zu einer hektischen Betriebsamkeit. Das Netzwerk hat unbedingten Vorrang vor allem anderen – auch vor den face to face Kontakten.

Es nervt mich total, wenn Bekannte in einer netten Runde sofort ihr Smartphone bedienen, wenn irgendeine Nachricht aufploppt, oder wenn schräge Videoclips die Runde machen. Ich habe neulich in einem Restaurant eine Familie beobachtet, in der alle Famienmitglieder mit ihrem Smartphone beschäftigt waren. Minutenlang fand keinerlei Kommunikation zwischen den fünf Menschen statt. Naja, vielleicht waren sie ja gerade über Whatsapp im Gespräch.

Ich kann das nicht durch Fakten erhärten. Aber mein Gefühl sagt mir, dass Kinder und Jugendliche, die sich ohnehin schon nicht länger auf eine Aufgabe, einen komplexeren Vorgang konzentrieren können, noch unruhiger und unkonzentrierter werden durch die Teilhabe an sozialen Netzwerken. Im Übrigen verabscheue ich die hemmungslose Lust am Beleidigen, Verunglimpfen, Beschämen, Vernichten von Mitmenschen und an der hämischen Schadensfreude im Netz. Und schließlich: Was vordergründig nur unserer Zerstreuung und Unterhaltung dient, dient im Hintergrund knallharten kommerziellen Interessen. Denn alles, was wir im Netz veröffentlicht, enthält auch Daten, die irgendein Unternehmen brauchen kann.“

K.F.

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#2

„Ja, ich bin froh, dass ich ein Navigationsgerät im Auto habe. Anderseits fühle ich mich nahezu orientierungslos, wenn das Navi mal ausfällt. Mit den Jahren habe ich meine Ortskenntnis und mein Orientierungsvermögen über weite Distanzen beinahe verloren. Für mich ist die Abhängigkeit vom Navi ein Beispiel dafür, wie wir durch die vielen digitalen Helferprogramme unsere natürlichen/eigenen Kompetenzen nach und nach verlieren. Ich befürchte: Das Internet der Dinge wird uns zunehmend abhängig machen und fremdsteuern. Irgendwann werden wir nicht mehr wissen, ob wir etwas selber wollen oder ob Algorithmen bestimmen, was gut für uns ist, und wir wollen sollen. Wo wir mit Freunden essen gehen … Was wir kochen … Wo wir Urlaub machen sollten … Welche Frau, welcher Mann zu uns passt … Mit wem wir besser einen Kontakt vermeiden … Irgendeine App wird uns das schon bald verlässlicher empfehlen als unser Bauchgefühl, unsre soziale oder emotionale Kompetenz. Das finde ich bedenklich.“

D.K.

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#1

„Unsere Welt ist extrem komplex. Die meisten sozialen, politischen, kulturellen Zusammenhänge sind vielschichtig. Sie lassen sich zumeist nicht eindeutig und auch nicht in wenigen Sätzen erfassen. Daher erschreckt mich dieser Zwang zur Vereindeutigung und Verkürzung von Sachverhalten in den sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten. Der amerikanische Präsident macht ja beinahe täglich vor, wie viel Schaden und Instabilität dadurch entsteht. Es macht mich wütend, wie schnell Falschmeldungen weltweit die Runde machen, die dann auch durch sorgfältigen Faktencheck nicht mehr korrigiert werden können. Was einmal in der Welt ist…

Andererseits sehe ich natürlich auch, dass sich Unrecht und staatliche Willkürakte blitzschnell bekannt machen lassen. Es kann kein Unrecht im Verborgenen bleiben. Das ist selbstverständlich eine Chance für Bürgerrechtsbewegungen.

Dennoch befürchte ich, dass unsre Kommunikation mit der Zeit immer oberflächlicher und banaler wird, dass Vorurteile maßgeblicher werden als abgewogene und überprüfbare Urteile, dass wir auf Dauer unsre Welttauglichkeit einbüßen – denn die ist nun mal komplex und vielschichtig.“

S.K.

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